Grüne und CDU haben den städtischen Konsens verlassen und sich von der ICE-Vollanbindung verabschiedet. Wie die jüngsten Planungsentscheidungen der Stadt zeigen, bereitet sie einen verkehrspolitischen Paradigmenwechsel vor. „Das ist ein schlechtes Zeichen für den Wirtschaftsstandort Darmstadt und ein Rückfall ins Provinzielle“, bedauert Tim Huß, verkehrspolitischer Sprecher der SPD.
Den ersten Hinweis lieferte das Verhalten der scheidenden Baudezernentin Cornelia Zuschke, welche sich bereits am 04.03.2016, zwei Tage vor der Kommunalwahl, im Haupt- und Planungsausschuss der Regionalversammlung für die Prüfung von Alternativen zur Vollanbindung aussprach. Bei der Verabschiedung des Flächennutzungsplanes am 14. Juni 2016 wurde schließlich ein Korridor freigehalten, der parallel zur Eschollbrücker Straße verläuft und in einer engen Kurve nach Norden abbiegt. Aufgrund der daraus resultierenden Geschwindigkeitsbegrenzung auf circa 120 km/h lässt sich in diesem Korridor keine Vollanbindung realisieren. Bereits in der Sitzung des Bauausschusses am 19.05.2016 hat Frau Zuschke auf Nachfrage erklärt, dass die Position der Stadt Darmstadt nicht eindeutig sei. Man wolle sich erst positionieren, wenn Rückmeldungen von anderen Gremien vorliegen würden. Ähnlich hat sich der Magistrat letztlich in der Stadtverordnetenversammlung verhalten: Auch auf explizite Bitte seitens der SPD unterließen die redenden Magistratsmitglieder ein Bekenntnis zur Vollanbindung.
„Ein klares Bekenntnis zur Vollanbindung, wie es im Wahlprogramm von Grünen und CDU formuliert war, sieht anders aus“, sagt der SPD-Stadtverordnete Oliver Lott. „Wir wünschen uns vom Magistrat eine ehrliche Kommunikation. Wenn vom Wahlversprechen der ICE-Vollanbindung jetzt schon abgerückt wird, muss dies dem Parlament und der Öffentlichkeit transparent mitgeteilt und ein neuer Beteiligungsprozess angestoßen werden.“
Die Abkehr vom städtischen Konsens wird nun durch den Bebauungsplan zu den ehemaligen Kelley Barracks bestätigt, der am Donnerstag in der Stadtverordnetenversammlung behandelt wird. „Nun soll ein Bebauungsplan beschlossen werden, der ausschließlich auf die Interessen von Alnatura zugeschnitten ist und die Voraussetzungen für eine ICE-Vollanbindung zunichtemacht“, beklagt Lott. Somit kann Darmstadt nur noch mittels einer Bypass-Trasse angebunden werden. Deren Realisierungschancen werden durch große Finanzierungsschwierigkeiten minimiert. Darmstadt ist im Gesamtplanentwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 zwar erwähnt, jedoch nur mit einem Abzweig der Neubaustrecke, nicht mit einem Bypass. Eine Finanzierung der Bypasslösung durch den Bund erscheint in diesem Zusammenhang sehr unwahrscheinlich. In Anbetracht des wachsenden Schuldenbergs in Darmstadt kann die Aufgabe der Vollanbindung zu einer vollständigen Abkapselung des Hauptbahnhofes von der Neubaustrecke führen.
„Noch ist der Bundesverkehrswegeplan 2030 nicht beschlossen. Um bis zuletzt alle Handlungsmöglichkeiten zu haben, sollte die Stadt nicht einzelne Optionen wie die Vollanbindung durch sektorale Entscheidungen ausschließen. Schließlich geht es nicht nur um Darmstadt, sondern um die gesamte Region“, gibt Brigitte Zypries, Staatssekretärin und Vorsitzende der Darmstädter SPD, zu bedenken.
Die Darmstädter SPD-Fraktion fordert daher von den städtischen Akteuren ein klares Bekenntnis zur Vollanbindung. „Auch wenn wir uns über jedes neue Unternehmen freuen, das Arbeitsplätze schafft, so dürfen die Interessen eines einzelnen nicht gegen die Interessen des Wirtschaftsstandortes durchgedrückt werden. Darmstadts Wirtschaft braucht die ICE-Anbindung – das muss Alnatura akzeptieren. Von dieser Erkenntnis darf auch die grün-schwarze Koalition nicht abrücken“, erklärt Tim Huß abschließend.