Mehr Bürgerbeteiligung und Bürgerservice soll es nach dem Willen der SPD-Fraktion geben. Sie beantragt deshalb, in allen Stadtteilen Ortsbeiräte zu etablieren sowie die Bürgerbüros und Meldestellen, die bis 2012 existierten, wieder einzurichten. Dies teilten die Sozialdemokraten heute im Rahmen einer Pressekonferenz mit.
Darmstadt befindet sich im Wandel. Ob große Infrastrukturprojekte, die Ausweisung von neuen Bauflächen oder die Reorganisation sozialer Dienstleistungen – die Veränderungen werden unsere Stadt für die nächsten Jahrzehnte prägen. Umso wichtiger ist es, heute kluge Weichenstellungen zu treffen, damit sich Darmstadt sozial gerecht und ökologisch nachhaltig entwickeln kann. „Genauso wichtig ist es, die Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung dieses Wandels zu beteiligen. Das erhöht nicht nur die Legitimität politischer Entscheidungen, sondern verbessert auch die Qualität der Ergebnisse“, meint SPD-Fraktionschef Michael Siebel. „Doch gerade bei der Bürgerbeteiligung scheitert die grün-schwarze Stadtregierung regelmäßig“, ergänzt Tim Sackreuther, SPD-Stadtverordneter aus Arheilgen. Er erinnert an Demonstrationen vorm Stadtparlament, Unterschriftenlisten an Infoständen für Bürgerbegehren und offene Beschwerdebriefe an den Oberbürgermeister, die mittlerweile zum politischen Alltag in Darmstadt gehörten. „Oft werden die Menschen zu spät oder gar nicht beteiligt“, stellt Sackreuther fest. Dies hat er auch in seinem Stadtteil erfahren, als es um die Errichtung eines zweiten Aldi-Marktes im Ortskern ging. Sackreuther hierzu: „Zwar existieren Leitlinien für Bürgerbeteiligung – an diese hält sich die Stadtregierung aber selbst oft nicht, wie das Beispiel Aldi Markt in Arheilgen gezeigt hat. Dort begehrten die Bürger*innen und die SPD eine Bürgerbeteiligung nach den Statuten, die der Magistrat ablehnte.“
Doch der Discounter ist nicht der einzige Fall, in dem die Stadtregierung die viel gepriesene Bürgerbeteiligung zur Farce machte. Aufschreie aus der Bürgerschaft gab es schnell bei der Bebauung des Bürgerparks, bei Überlegungen zur Abholzung des Eberstädter Waldes, bei den Planungen für zwei große Gewerbegebiete im Darmstädter Norden, beim Bau einer Straßenbahn nach Weiterstadt, bei der Verlegung des Betriebshofs von Heag Mobilo, bei Verdichtungsmaßnahmen in der Heinestraße und der Lauteschlägerstraße oder beim Errichten eines Funkmastes in der Villenkolonie, wie Siebel ausführt. „Gerade bei kontroversen Projekten wird Bürgerbeteiligung konsequent missachtet. Es fehlt eine verbindliche, nachhaltige Struktur für die Bürgerbeteiligung vor Ort.“
Daher fordert die SPD einen neuen großen Wurf für die Bürgerbeteiligung in Darmstadt.
Bereits vor zwei Jahren hat die SPD auf ihrem Parteitag die Einführung von Ortsbeiräten in Arheilgen, der Heimstättensiedlung, der Waldkolonie und Weststadt, Bessungen und Eberstadt gefordert. „Darüber hinaus wollen wir in allen neun Stadtteilen Ortsbeiräte etablieren“, sagt Siebel.
Die Vorteile hiervon: Ortsbeiräte sind über Wahlen demokratisch legitimiert. Ortsbeiräte schaffen Transparenz und Teilhabe, indem sie sich mit dem befassen und das aufgreifen, was die Bürgerinnen und Bürger vor ihrer Haustür direkt interessiert und stört. „Sie tragen zu einer höheren Identifikation mit dem Stadtteil und dem engeren Lebensraum bei, weil sie eine direkte Teilhabe und Mitwirkung ermöglichen und einfordern“, meint Siebel. Zudem trügen sie zur Meinungsbildung bei, weil sie sich mit örtlich relevanten Bauvorhaben und Planungsleitlinien auseinandersetzen könnten. Und schließlich würden durch sie Diskussionen demokratisiert und versachlicht.
Siebel: „Die Einrichtung von Ortsbeiräten in allen neun Stadtteilen stellt damit eine echte Alternative zur sektoralen Bürgerbeteiligung der Stadtregierung dar. Die Stadtregierung beteiligt Menschen in Stadtteilforen und Informationsveranstaltungen, wenn sie politisch wenig zu befürchten hat.“ Dem setzt die SPD flächendeckende, demokratisch legitimierte und dauerhaft institutionalisierte Bürgerbeteiligung in Form von Ortsbeiräten entgegen. „So können wir die Herausforderungen einer wachsenden Stadt gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort meistern“, sind sich die Sozialdemokraten sicher.
Parallel zu dem Mehr an Bürgerbeteiligung soll es auch ein Mehr an Bürgerservice geben. Denn aus Sicht der SPD-Fraktion war die Reduzierung von Bürgerverwaltungs- und Bürgerservice-Strukturen in den Stadtteilen Kranichstein, Arheilgen und Heimstätte ein Fehler. „Das hat den Bürgerservice der Stadt Darmstadt nachhaltig geschwächt. Das hat uns die Corona-Pandemie aufs Neue verdeutlicht“, sagt der SPD-Stadtverordnete Santi Umberti aus Kranichstein. Dezentrale Angebote und Zweigstellen des Bürgerservices in den Stadtteilen führten nicht nur zu einer besseren Erreichbarkeit der Angebote, sondern sorgten auch in der zentralen Anlaufstelle in der Innenstadt für geringeren Personenverkehr und so auch für einen besseren Bürgerservice.
„Es ist den älteren und behinderten Menschen sowie Familien mit Kindern nicht zuzumuten, bis in die Innenstadt zum Bürgerbüro oder zur Meldestelle zu fahren, zumal sich in Darmstadt-Kranichstein eine bürgerfreundliche Atmosphäre entwickelt hat. Ferner kommt noch hinzu, dass dieser internationale Stadtteil mit ca. 12.000 Einwohnern ein Recht hat, ein eigenes Bürgerbüro und eine eigene Meldestelle zu haben, um den Menschen entgegenzukommen“, betont Umberti. Aus zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit kleine und mittelständige Unternehmen weiß der SPD-Vorsitzende aus Kranichstein, dass es für viele eine zeitliche und finanzielle Belastung ist, extra in die Innenstadt fahren zu müssen, um meldetechnische Erledigungen durchzuführen.
Servicestellen vor Ort könnten, insbesondere für Bürger*innen mit geringem Einkommen, zusätzliche Kosten für eine ÖPNV-Karte reduzieren. Auch die Stadtteile Darmstadt-Arheilgen (18.000 Einwohner) und Heimstätte (7.370 Einwohner) mit ihren expansiven Entwicklungen und differenzierten Gesellschaftsstrukturen haben Umberti zufolge ein Recht auf Bürgerbüros und Meldestellen und damit auf ein vollumfängliches Dienstleistungsangebot für die Bürgerschaft vor Ort.
Für Umberti sind die Gründe zur Schließung der Bürgerbüros und der Meldestellen durch die Grün-Schwarze Stadtregierung im Jahre 2012 aus sozial- und standortpolitischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar, selbst wenn die Lage des Haushaltes der Wissenschaftsstadt Darmstadt nicht viel Handlungsspielraum zulassen sollte. „Eine Haushaltskonsolidierung ist erforderlich, aber es muss an der richtigen Stelle gespart werden, um auch einen sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten und nicht zu gefährden“, betont Umberti.
Es fordert eine ausgleichende Strategie, um eine befriedigende Lösung für die Bürgerschaft und den Stadtteil Darmstadt-Kranichstein beizusteuern, um auch die Attraktivität des Wohn- und Wirtschaftsstandortes nicht zu verschlechtern, sondern zu verbessern. Dieses gilt ebenso für die anderen Stadtteile, Darmstadt-Arheilgen sowie Heimstätte. „Bürgerfreundlichkeit ist hier gefragt“, stellt Umberti fest.